Gott ist, mangels Existenz, so wenig an "allem" schuld wie Osterhase und Christkind schuld sind an Legebatterien wegen des erhöhten Ei- bzw. Plätzchenkonsums im April und Dezember. Schuld sind vielmehr die Gläubigen (und die, die sie tolerieren). Zudem wird keiner behaupten, Religion sei beispielsweise für Erdbeben verantwortlich, Atheisten hier ein "alles" in den Mund zu legen, ist lediglich ein Diffamierungsversuch mittels Strohmannargument. Schuld sind die Theisten, ist der Theismus aber an vielem, nicht nur an Religionskriegen auch im 21. Jahrhundert.
Ähnlich unsinnig ist es, von atheistischer
"Missionierung" (der Autor möge ein Wörterbuch konsultieren: missionieren bedeutet, einen Glauben zu verbreiten) oder gar "Kreuzzug"(!) zu sprechen, so als ob Atheismus eine Religion (also der Glaube an übernatürliche Mächte und deren kultische Verehrung, auch hier hilft ein Wörterbuch), als ob Veganismus Tierausbeutung, als ob Gesundheit nichts weiter als eine andere Art Krankheit wäre.
In einer faschistisch beherrschten Gesellschaft genügt es nicht, selbst nicht faschistisch zu sein. Vielmehr ist es zwingend erforderlich, antifaschistisch zu sein. Ebenso ist es in einer rassistischen Gesellschaft zu wenig, selbst nicht rassistisch zu sein, sondern antirassistisch sein ethisch geboten.
Analog zur Notwendigkeit von Antifaschismus, Antirassismus, Antisexismus, Antispeziesismus usw. - das ist angesichts der Parallelen kaum zu leugnen - reicht es also in dieser unserer theistisch dominierten Welt keinesfalls aus, nur atheistisch zu sein. Natürlich ist es besser, wenn jemand im stillen Kämmerlein sein atheistisches Süppchen kocht, statt sich selbst an religiösem Wahn zu beteiligen, doch Atheismus ist nicht genug: vielmehr ist es notwendig, gegen Theismus vorzugehen, Antitheismus ist für ethisch denkende und handelnde Menschen angesichts des real existierenden Theismus ein Muß, ein ethischer Imperativ.
Denn die Folgen des Theismus sind und waren seit jeher verheerend, lokal wie global. Ob blutiger Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland, "Gott" in der Grundgesetzpräambel, Kreuzzüge, Indoktrination von Kindern in der Schule, Conquista, Tendenzschutz, omnipräsente religiöse Folterszenen, Hexenverbrennungen oder schlicht das weihnachtliche Fernsehprogramm: es genügt nicht, nur für das Recht, nicht davon behelligt zu werden, zu kämpfen, für die Trennung von Staat und Kirche, gegen Auswüchse der Religion. Mindestforderung muß sein, daß alle von den Machenschaften der Gläubigen verschont bleiben.
Wohlgemerkt bedeutet Antitheismus keine "Verfolgung" von Gläubigen (es ist wenig verwunderlich, daß Gläubige dies in der Regel bereits mit schlichtem Atheismus, also der Abwesenheit eines Glaubens an irgendwelche Götter assoziieren, ist die Diskriminierung "Andersgläubiger" religiösen Memen doch immanent). Vielmehr bedeutet Antitheismus Aufklärung über die Realität, sowohl naturwissenschaftlich wie politisch/historisch. So wie es erforderlich ist, Kinder, die an den Klapperstorch glauben, über die tatsächlichen Vorgänge aufzuklären, um ungewollte Schwangerschaften von Teenagern zu vermeiden, so wie sie irgendwann erfahren müssen, daß es keinen Weihnachtsmann gibt, so muß darüber informiert werden, daß es kein Gott ist, der Blitze schleudert oder ihnen auf welch wundersamem Umweg auch immer ihr tägliches Brot zur Verfügung stellt.
Achim Stößer, http://antitheismus.de
(unveröffentlichter Leserbrief zu "Gott ist an allem Schuld", Der Spiegel Nr. 22 / 26.5.07)